Dieser Leserbrief ist im Rahmen einer Studie im Auftrag der luxemburgischen Regierung entstanden, die ergründen sollte, ob ein Lieferkettengesetz für Luxemburg sinnvoll wäre und welche Inhalte es enthalten müsste, um den Schutz von Menschen- und Umweltrechten in den Lieferketten der luxemburgischen Unternehmen zu verbessern. Erschienen ist der Artikel im „Luxemburger Wort“ in der Ausgabe vom 15. Mai 2021.
Was haben das Smartphone, der neue Pullover und die morgendliche Tasse Kaffee gemeinsam? Auf den ersten Blick vielleicht nicht viel. Und doch gibt es bei genauerem Hinsehen einige Gemeinsamkeiten. Es sind nämlich Waren, die meistens in Schwellen- oder Entwicklungsländern hergestellt werden oder deren Inhaltsstoffe aus diesen Regionen stammen.
Durch die Globalisierung hat sich die industrielle Produktion in Länder verlagert, in denen die Lohnkosten gering sind und niedrige Umwelt- und Arbeitsstandards gelten. Daraus folgt, dass viel zu oft für die Produktion günstiger Konsumgüter Menschenrechte verletzt und die Umwelt zerstört werden. Um dies zu verhindern, wird seit einigen Jahren darüber diskutiert, Unternehmen einer Sorgfaltspflicht zu unterwerfen.
Rana Plaza: ein Weckruf
Den Stein ins Rollen brachte der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch im April 2013, in der Kleider für bekannte westliche Marken produziert wurden. Mehr als 1.100 der dort beschäftigten Arbeiter:innen starben, darunter vor allem Frauen, als die Fabrik unter dem Gewicht mehrerer illegal aufgestockter Etagen einstürzte. Es soll auch wiederholt Menschenrechtsverletzungen gegeben haben.
Rana Plaza ist leider kein Einzelfall. Immer wieder gibt es Berichte über westliche Unternehmen, die in Entwicklungsländern Menschenrechte missachten. Hinzu kommen die massiven Umwelt- und Gesundheitsschäden, die unter anderem aufgrund der Anwendung von Chemikalien und Pestiziden durch die Textilindustrie entstehen. Der Einsturz von Rana Plaza warf in einigen europäischen Ländern die längst überfällige Frage auf, ob und wie Unternehmen dazu verpflichtet werden sollen, bei ihren Lieferanten vor Ort für soziale und ökologische Mindeststandards zu sorgen.
Sorgfaltspflicht für Unternehmen
Eine Antwort darauf könnte ein sogenanntes Lieferkettengesetz geben, welches Unternehmen dazu verpflichtet, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards bei ihren Zulieferern zu kontrollieren und etwaige Risiken offenzulegen. Bislang ist Frankreich das einzige EU-Land mit einer solchen Sorgfaltspflicht für Unternehmen. In Deutschland wurde vor Kurzem ein entsprechender Gesetzesentwurf vorgelegt und in Belgien sind erste Verhandlungen angelaufen. Darüber hinaus hat die EU-Kommission angekündigt, noch in diesem Jahr einen Vorschlag für eine europäische Richtlinie zu unterbreiten.
Auch in Luxemburg stand die Diskussion über ein solches Gesetz bereits auf der Agenda. Mit dem Koalitionsabkommen von 2018 hat die Regierung sich dazu entschlossen, die Einführung einer Sorgfaltspflicht für Unternehmen zu prüfen. Kürzlich wurde deshalb eine von der Regierung in Auftrag gegebene Studie veröffentlicht, die erste Ansätze und Empfehlungen liefert.[1]
Der Teufel steckt im Detail
In erster Linie zeigt die Studie, dass die Einführung eines Lieferkettengesetzes zwar durchaus sinnvoll ist, die genaue Umsetzung jedoch sehr unterschiedlich ausfallen kann. Denn ob und wie eine Sorgfaltspflicht für Unternehmen in der Praxis tatsächlich wirkt, hängt unter anderem davon ab, wie die Lieferkette definiert wird, welche Unternehmen der Sorgfaltspflicht unterliegen, welche Maßnahmen die Unternehmen ergreifen müssen und welche Sanktionen vorgesehen sind. Der Teufel steckt also wie so oft im Detail.
In Frankreich müssen Unternehmen beispielsweise einen “plan de vigilance” erstellen, der die Risiken in den Bereichen Menschenrechte, Umwelt und Governance evaluiert und konkrete Maßnahmen benennt, um diese Risiken zu mindern. Allerdings gilt diese Pflicht nur für Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten.
Der belgische Gesetzesvorschlag sieht wiederum vor, dass die Sorgfaltspflicht prinzipiell für alle Unternehmen gelten soll, die in Belgien tätig sind. Die genauen Pflichten variieren jedoch je nach Größe des Unternehmens sowie nach dem Risiko der Branche und der Region, in denen das Unternehmen aktiv ist.
Der belgische Vorschlag beinhaltet außerdem neben internen Beschwerdestellen für Betroffene auch eine zivilrechtliche Haftung für Unternehmen. Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden könnten somit in Zukunft in Belgien tätige Unternehmen verklagen, wenn diese ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen. Dabei muss interessanterweise nicht der Kläger die Schuld des Unternehmens, sondern das Unternehmen seine Unschuld beweisen.
Nicht zuletzt ist auch die Definition der Lieferkette ein entscheidender Aspekt für die Wirksamkeit einer Sorgfaltspflicht. So funktioniert ein Lieferkettengesetz nur dann, wenn sich die Verantwortung der Unternehmen auf die gesamte Wertschöpfungskette bezieht und nicht nur, wie es in Deutschland momentan geplant ist, auf die erste Ebene der Lieferkette. In der EU sehen bislang nur rund 16 % der Unternehmen eine freiwillige Prüfung ihrer gesamten Lieferketten vor – es ist also noch viel Luft nach oben.[2]
Schlecht für die Wirtschaft?
Unternehmerverbände und konservative Politiker sehen die Einführung einer gesetzlichen Regelung zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen kritisch. Auch der Wirtschafts- und Kooperationsminister Franz Fayot äußerte noch vor ein paar Wochen im Parlament Bedenken bezüglich einer nationalen Initiative. Gefürchtet werden zusätzliche Kosten für Unternehmen und ein daraus resultierender Wettbewerbsnachteil.
Dem entgegen stehen Berechnungen der EU-Kommission, laut denen ein großes Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 10 Milliarden Euro mit zusätzlichen jährlichen Personalkosten von einer halben Million Euro rechnen müsste – das entspräche 0,00005% des Jahresumsatzes. Bei kleineren Unternehmen mit einem Umsatz von 1 Million Euro wiederum wären es knapp 740 Euro zusätzliche Personalkosten im Jahr.[3] Die Mehrkosten scheinen also, besonders in Anbetracht der gesellschaftlichen Nutzen, durchaus vertretbar. Außerdem kann eine Sorgfaltspflicht auch zu Kostenvorteilen führen, weil durch die Minderung von Risiken in der Lieferkette Kosten gespart werden.
Ein weiteres Argument der Kritiker ist die Befürchtung, dass zusätzliche Regulierungen die Akteure des heimischen Finanzplatzes vertreiben und die Attraktivität des Standorts beschädigen könnten. Die Autorin der luxemburgischen Studie kommt jedoch zum Schluss, dass es keine empirischen Beweise dafür gibt und dass der Finanzplatz als bereits stark regulierter Sektor wahrscheinlich relativ leicht mit zusätzlichen Regeln umgehen kann.
National oder europäisch?
Die Diskussion um ein Lieferkettengesetz in Luxemburg drehte sich bis jetzt vor allem um die Frage, ob es sinnvoller ist, ein solches Gesetz auf nationalem Weg zu verabschieden oder auf eine europäische Richtlinie zu warten. Doch in beiden Fällen wird Luxemburg ein nationales Gesetz bekommen, da eine europäische Richtlinie auch in nationales Recht umgesetzt werden muss. Die Empfehlung der Studie lautet deshalb, ab sofort an der konkreten Umsetzung des nationalen Gesetzes zu arbeiten und die entscheidenden politischen und juristischen Fragen zu klären.
Die Regierung hat daraufhin eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die jetzt so schnell wie möglich ihre Arbeit aufnehmen muss. Denn unabhängig davon, wie ambitioniert der Vorschlag der EU-Kommission sein wird, kann es noch Jahre dauern, bis eine Richtlinie alle europäischen Instanzen durchlaufen hat. Die Regierung sollte jetzt prioritär an einem ambitionierten nationalen Gesetz arbeiten, um sowohl Druck auf die EU auszuüben als auch das Gesetz, sobald es spruchreif ist, bereits vor dem Inkrafttreten einer europäischen Richtlinie verabschieden zu können.
Die Corona-Pandemie hat die sozialen Gräben weltweit verstärkt und vielen Betrieben gezeigt, wie anfällig ihre globalisierten Lieferketten sind. Eine Sorgfaltspflicht für Unternehmen ist deshalb gerade in Zeiten von Corona eine einmalige Chance für eine resiliente Wirtschaft und eine gerechte Globalisierung, die das Klima und die Umwelt schützt, Menschenrechte verteidigt und Armut reduziert.
Fabricio Costa ist Politologe und Mitglied des Exekutivkomitees von déi jonk gréng.
Tanja Duprez ist Politologin und Co-Sprecherin von déi jonk gréng.
Jessie Thill ist Umweltphysikerin und Mitglied des Exekutivkomitees von déi jonk gréng.
[1] Basak Baglayan (2021) ‘A study on potential human rights due diligence legislation in Luxembourg’
[2] L. Smit, et al. (2020) ‘Study on Due Diligence Requirements through the Supply Chain’, S.16
[3] Ibid, S.427-428
Quelle Beitragsfoto: 🇸🇮 Janko Ferlič on Unsplash